26
Okt
2018

Das Beste fürs Kind

Ich muss mal wieder was zum Thema Elternsein loswerden.

Viele Pro- und Contradebatten kreisen im Grunde darum, was das Beste fürs Kind ist. Stillen oder Flasche, die Art der Geburt, wo schläft das Kind, wie wird das Kind ernährt, Stoffwindeln oder Einwegwindeln, bedürfnisorientierte oder autoritative Erziehung und vieles mehr. Eltern haben den Eindruck, es nicht richtig machen zu können und quälen sich womöglich mit einem dauerschlechten Gewissen. Andere reagieren auf den Druck dadurch, ihre Entscheidung mit objektiven Argumenten, Studien etc. verteidigen zu wollen.

Ich begebe mich jetzt auf dünnes Eis und nehme das Stillen als Beispiel. Vorweg: Ich persönlich konnte sofort und absolut unproblematisch stillen, habe 5 Monate voll gestillt und stille meinen 10 Monate alten Sohn immer noch abends und in der Nacht. Anfangs fand ich es körperlich anstrengend, hatte aber genug Unterstützung durch meinen Partner so dass ich recht gut zurecht kam. Inzwischen ist das Stillen für mich sogar vorrangig schön und innig und ich genieße diese intime Zeit mit meinem Kind sehr.

Es gibt ja unzählige Studien über die Vorteile des Stillens, Studien die das wieder relativieren und sagen, die Vorteile wären doch nicht so groß wie anfangs gedacht, die Datenlage ist also nicht eindeutig, aber die Tendenz geht dazu zu sagen: Stillen ist das Beste.

Und so machen sich viele Schwangere schon im Vorfeld Druck, es wird teils schon in den Krankenhäusern krasser Druck ausgeübt, man hört das Mantra "Stillen ist das Beste" unaufhörlich - ich kenne persönlich zwei Fälle, in denen Müttern, bei denen das Stillen nicht klappen wollte, im Krankenhaus sogar das Fläschchen fürs Kind verweigert wurde. Es wird teilweise schon vor dem vorsorglichen Kauf von Säuglingsnahrung und Fläschchen in der Schwangerschaft abgeraten weil man sich dann keine Mühe mehr gäbe zu stillen.

Ich selber glaube übrigens tatsächlich, dass Muttermilch passgenau aufs Kind abgestimmt ist und damit die beste Ernährung für ein Baby ist.

Aber: Manchmal ist das Beste für das Kind einfach nicht verfügbar. Aus ganz vielfältigen Gründen. Egal ob sich die Mutter nicht wohl damit fühlt, egal ob einfach keine Milch da ist, egal ob die Mutter dadurch so erschöpft ist dass sie es nicht packt. Wichtig ist, dass mit Flaschenmilch eine Option bereitsteht, auf die man guten Gewissens zurückgreifen kann. Schon theoretisch möglich, dass das Kind vielleicht dann ein im Vergleich erhöhtes Allergierisiko hat. Schon möglich, dass es vielleicht mal eine Erkältung mehr hat als ein gestilltes Kind. Bewiesen ist es nicht.

Worauf ich aber hinauswill: Es ist als Eltern nicht möglich, stets und immer das "Beste" fürs Kind zu tun. Oft, weil es die Umstände nicht hergeben, oft weil wir an unsere persönlichen Grenzen stoßen, oft auch weil wir im Gesamtbild auch unsere Zwänge und Bedürfnisse beachten müssen und das Kind zurückstecken muss - die Gründe sind vielfältig.

Wir können und werden es nie perfekt machen. Anstatt uns selber oder gegenseitig dafür zu geißeln, wäre es an der Zeit, unsere Unperfektheit hinzunehmen. Denn Kinder sind stärker und robuster als wir denken mögen. Es hilft einem Baby, dessen Mutter keine Milch hat nicht, wenn sich die Mutter deswegen schlecht fühlt und von ihrem Umfeld ständig unter die Nase gerieben bekommt "Aber Stillen ist das Beste!". Ein hungriges Baby will vor allem eins: Dass sein Hunger gestillt wird.

Es muss nicht immer das Beste sein. Das Zweit- oder Drittbeste wird in den allermeisten Fällen auch gut genug sein. Und unsere Kinder kommen sehr gut auch damit zurecht, wenn das Gesamtbild passt. Also lasst uns endlich diese unsinnigen Debatten darüber beenden. Lasst uns das gegenseitige Urteilen, Verurteilen und Vergleichen beenden. Lasst uns stattdessen als Eltern zusammenhalten, uns gegenseitig unterstützen und unsere oft begrenzte Energie nicht über Debatten über das vermeintlich Beste verschwenden. Wir müssen es alle aushalten, dass das Beste nicht immer erreichbar ist. Und das sollte auch für alle anderen okay sein.

(Übrigens noch eine Stillgeschichte als Nachtrag: Eine Freundin, noch schwanger, fragte mich und eine andere frischgebackene Mutter aus, wie es denn so sei mit dem Stillen. Wir haben ehrlich berichtet und sie rückte dann damit heraus, dass sie skeptisch ist weil sie sich schwer mit dem Gedanken anfreunden kann und es irgendwie seltsam findet, dass sie mit ihrer Brust ihr Baby füttern soll. Daraufhin lachten wir und meinten, dass wir das in der Tat auch irgendwie abgefahren finden. Sie schien erst erleichtert dass sie mit dem Gedanken nicht allein ist, dann aber bedrückt, denn Stillen ist doch das Beste und was sie denn jetzt tun solle. Wir haben ihr geraten, sich keinen Stress zu machen und einfach mal zu gucken wie sie es empfindet wenn das Baby da ist, es auszuprobieren und dem Kind Flaschenmilch zu geben wenn sie sich mit dem Stillen nicht anfreunden kann. Bei unserem Wochenbettbesuch fanden wir dann eine glückliche Mama mit Kind an der Brust vor die sich bei uns bedankt hat und meinte "Ihr wart die einzigen, die mir kein schlechtes Gewissen gemacht haben weil ich den Gedanken komisch fand. Ich glaube wenn Ihr mir nicht im Voraus quasi die Absolution erteilt hättet nicht zu stillen wenn ich es nicht will hat mich überhaupt dazu gebracht es probieren zu wollen. Und ich glaube auch wenn ich nicht so entspannt gewesen wäre und im Hinterkopf gehabt hätte dass ich es nicht muss und auch die Flasche geben kann hätte es auch nicht so gut mit dem Stillen geklappt." Inzwischen ist das Baby ein paar Monate alt und wird die meiste Zeit immer noch gestillt, die Mama findet es ab und zu immer noch irgendwie lustig, macht es aber gerne. Und wenn sie mal ne Pause und etwas Zeit für sich braucht oder eine Nacht alleine schlafen will übernimmt der Kindsvater und füttert abgepumpte Milch. Alles ohne Druck und schlechtes Gewissen.)
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