27
Mrz
2013

Berufsverkehr

Sie wusste gar nicht mehr, wann ihr dieses Auto das erste Mal aufgefallen war. Ein knallgrüner Mittelklassewagen mit einem großen Bandsticker auf der Motorhaube, der sich wohltuend aus der amorphen Masse der silbergrauen, weißen und schwarzen Fahrzeuge hervorhob, genau wie ihr eigenes, feuerwehrrotes kleines Auto. Drinnen saß eine Frau mit kurzen blonden Haaren in ihrem Alter, die morgens ähnlich müde aussah, wie sie sich selber auch fühlte.

So gut wie jeden Arbeitstag kam sie ihr entgegen, sowohl morgens als auch auf dem Heimweg. Sie musste wohl in der Stadt wohnen, wo sie selber arbeitete, und in der Nähe der Stadt arbeiten, wo sie selber wohnte - denn je nach Uhrzeit begegneten sie sich auf unterschiedlichen Stellen der Strecke: fuhr sie spät los sah sie sie ganz zu Anfang des Weges, war sie früh dran, sah sie sie erst kurz vor ihrem Büro. Meistens trafen sie sich irgendwo in der Mitte.

Am liebsten mochte sie es, wenn sie ihr in der 30er Zone und nicht auf der Landstraße entgegenkam, so dass sie sie für ein paar Augenblicke betrachten konnte. Sie sah so sympathisch aus, fand sie, wie jemand, mit dem sie sich vorstellen könnte befreundet zu sein. Manchmal vertrieb sie sich die Zeit der Fahrt mit sinnfreien Gedankenspielen: Wie wohl ihr Leben aussah? Was war sie von Beruf? Wie wohnte sie? Was waren ihre Hobbies? War sie in einer Beziehung? War sie Mutter? Ob sie glücklich war in ihrem Leben?

Nur zu gerne würde sie sie irgendwann mal kennenlernen, aber einen Kontakt herzustellen schien ihr nahezu unmöglich. Sie konnte sie ja schlecht per Hupe oder mit ähnlich anderen drastischen Mitteln zum Anhalten und Aussteigen bewegen und dann sagen "Entschuldigen Sie, aber ich sehe Sie jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit und zurück und finde, dass Sie so nett aussehen, außerdem mag ich Ihr Auto - möchten Sie vielleicht mal einen Kaffee mit mir trinken?" Schon der Gedanke schien absurd.

"Vielleicht", dachte sie, "vielleicht könnte ich ja mal anfangen kurz freundlich zu winken..."

12
Mrz
2013

Festgehalten

Auf halbem Weg zurück blieb er Mitte März noch einmal stehen, der Winter, dämmte den Himmel mit grau und füllte die Luft ein letztes Mal mit scharfem Schnee. Auch sie fühlte sich unvermittelt, erschöpft, zurückgeworfen. Unauffindbar war die aufgeregte Aufbruchsstimmung, die der Frühlingsanfang kurz in ihr hervorgelockt hatte. "Jetzt in eine Decke eingewickelt mit einem Buch und einer Tasse Tee", dachte sie, als sie innerlich fröstelnd in ihrem überheizten Büro saß und durchs Fenster die vorbeifahrenden Autos betrachtete, die alle schon mittags das Licht eingeschaltet hatten.

Den Menschen um sie herum schien es ähnlich zu gehen. Selbst der Kollege, der grade zwei Wochen im Süden gewesen war, schien die gleiche müde Resignation unter seiner braungebrannten Haut zu tragen. Über den Wetterumschwung klagen wollte niemand, fast als wäre der Schneesturm draußen einfach nicht real, wenn man sich schlichtweg weigerte, ihn zur Kenntnis zu nehmen.

"Aussitzen, einfach aussitzen", dachte sie. Nicht alle Reisen führen auf dem geraden Weg von A nach B. Nicht immer verläuft die Rekonvaleszenz gradlinig, manchmal gibt es eben Rückfälle. Sie versuchte sich klarzumachen, dass ihre Hoffnung nicht verschwunden war, sondern nur vorübergehend zugedeckt - genau wie die Krokusse unter dem Schnee.

Genauso würde auch sie geduldig auf den Frühling warten und das kalte Weiß des Winters hinter sich lassen.

19
Feb
2013

Yellowstone

Lass uns dorthin fahren

im Juli, wenn Sommer ist

und bunte Blumenwiesen

neben den Geysiren blühen.


Und wenn die unterirdische

riesige Magmakammer hochgeht

lassen wir uns gemeinsam

in der Eruption verglühen.

12
Feb
2013

Herzenswärme

"Schön war es", dachte sie, als sie nach der langen Fahrt bei einer Tasse Tee im Wintergarten den Schneeflöckchen zuschaute, "schön war das verlängerte Wochenende bei Familie und Freunden. Schön, mit so vielen Herzensmenschen Zeit zu verbringen, zu spüren, dass man gemocht und angenommen wird".

Der einzige Wehmutstropfen war nur, dass man sich weil das Leben nunmal so spielt örtlich viel zu weit voneinander entfernt, in alle Richtungen zerstreut. Dass man sich oft nur alle paar Monate einmal sehen kann.

"Beamen müste man können", dachte sie.

26
Jan
2013

#aufschrei

Nicht länger schweigen.

Offenlegen, was uns viel zu oft wiederfährt.

Genug ist genug.


Mehr zu Thema z.B. hier bei Anke

22
Jan
2013

Dazugehören

Dieser Wunsch scheint etwas Elementares zu sein, der Wunsch, nicht außerhalb zu stehen, sondern zur Gruppe dazu zu gehören. Alleine sein möchte er nicht, der Mensch, und dieses Bedürfnis treibt ab dem Kindergartenalter die seltsamsten Blüten. Es fängt an mit dem Kleidungsstil, als Teenager werden dann, um zur gewünschten Schublade der Subkultur zu gehören, schonmal komplette Weltanschauungen geändert.

Bemerkenswert ist hierbei, dass meist die Gruppierungen, die sich als besonders reaktionär gegenüber dem verhassten Establishment darstellen und sich ihrer Aufgeklärheit und Befreitheit rühmen, zumeist die Intolerantesten sind und einen Konformismus betreiben, der ihren erklärten Vorbildern die Tränen in die Augen treiben würden. Denn was wäre eine Gruppenidentität ohne klare Abgrenzung nach außen?

Trifft eine Person in einem sensiblen Alter nun aufgrund äußerer Umstände in ein neues Umfeld und es wird ihr (aus welchen Gründen auch immer) nun kategorisch verwehrt, dazuzugehören, ja wird sie sogar aktiv an den Rand gestellt und ausgeschlossen - oh je. Herzlich willkommen in Deiner ganz persönlichen, auf Dich maßgeschneiderten Hölle! Glückwunsch, Du armes kleines Menschenkind wirst Jahre lang vergeblich versuchen, Dich anzupassen, Dein Selbstwertgefühl wird gegen null gehen, und Du wirst wieder und wieder gegen Wände rennen. Auch wenn Du irgendwann erwachsen bist und Dir einreden wirst, dass das alles längst vergesen ist, wirst Du den Schmerz über die Ablehnung immer in Dir tragen. Du wirst Dich ständig bemühen, ständig auf der Hut sein.

Wenn Du Pech hast, wirst Du dem falschen Menschen vertrauen, einem Menschen, der Dich ausnutzt, aussaugt - und Du wirst es auch noch für tiefe Freundschaft halten, da die Anerkennung durch diesen Menschen für Dich alles bedeuten würde, Du in sein Wohlwollen alle Deine Wünsche nach Heilung über die erfolgte Ablehnung reinprojiziert hast. Deswegen wirst Du Dir abwertendes Verhalten gefallen lassen, das sich niemand gefallen lassen sollte. Und wenn Du es dann merkst und endlich einen Schlussstrich ziehst, wirst Du Dich mit all dem Schmerz, der Scham und der Verzweiflung auseinandersetzen müssen, die Du jetzt verdrängst, und es wird eine zweite Auflage der Hölle sein, in der Du Dich grade befindest.

...

Wie gerne würde sie ihrem 15-jährigen Ich sagen: Du bist absolut in Ordnung wie Du bist. Du brauchst niemandem, wirklich niemandem auch nur irgendetwas zu beweisen. Aber das, dachte sie, das wäre wohl dermaßen abwegig, dass sie das damals eh nie geglaubt hätte.

5
Jan
2013

Milchkaffee

Auf einem Barstuhl sitzen. Alleine am Tisch. In den Nieselregen schauen.
Vorbeischlendernde Menschen beobachten.

Einatmen. Ausatmen.

Einen Schluck Kaffee trinken.

Ganz bei sich selber sein.

Sich auf zu Hause freuen.

20
Dez
2012

Weihnachtszeit

Friede, Liebe, Vergebung, Freundschaft - sie hatte noch nie so deutlich wahrgenommen, wie sehr diese Botschaften besonders in der Adventszeit trotz allem Kommerz doch verbreitet wurden. Ihr eigenes Versagen und Vermissen wurde ihr schmerzlich vor Augen geführt.

Doch was hätte sie anders machen können? Das fragte sie sich rückblickend wieder und wieder. Trotz allem Verständnis und Mitgefühl, trotzdem sie wusste dass es nicht mit Absicht geschehen war, die Grenze des Erträglichen war einfach zu sehr überschritten worden, sie war schlichtweg zu sehr verletzt worden. Auch sie konnte aus ihrer Haut nicht heraus, sie konnte sich nicht aussuchen, sich nicht gedemütigt und hintergangen zu fühlen. Die Erde war verbrannt, und sie sah keinen Weg mehr zurück.

Und dennoch, beim Streifen durch die Städte, die in tausenden warmen Lichtern glitzerten, traf sie die Trauer, tief, die begann, ihre anfängliche Wut abzulösen. Keine Weihnachtsgrüße per Mail. Keine Treffen mehr. Keine gemeinsamen Spaziergänge mit vertrauten Gesprächen auf Parkbänken.

Rückblickend wusste sie, dass es Zeit war, weiterzugehen. Einzusehen, dass es auch vor dem großen Knall zu viel zu schlucken gab, dass sie immer zu sehr zurückgesteckt, zu viel falsche Rücksicht genommen hatte. Einzusehen, dass sie sich gegenseitig einfach nicht gut taten. Dass ihre schwachen Punkte und Unzulänglichkeiten sich zu sehr aufschaukelten und sie sich gegenseitig ihre Wunden nur noch stärker aufrissen.

Sie musste ihn gehen lassen. Ein happy end gab es für sie Beide einfach nicht - es sei denn, aus etwas zu lernen, daran zu wachsen, es gut sein zu lassen und weiterzugehen zählt auch als happy end.

Sie schloss die Augen und schickte stumme Stoßgebete ans Universum dass es ihm gut ging. Dass er weiter für seine Ziele kämpfte. Dass er glücklich werden würde.

Frohe Weihnachten, sweetie.
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Ursa Major

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